Landschaft Rolandsbogen

Landschaft Rolandsbogen
Landschaft am Rolandsbogen mit Blick auf den Drachenfels (c) Eva Wal

Mittwoch, 1. Dezember 2010

"Ich stelle vor"

Ich stelle vor:

Wenn man am untersten Treppenabsatz steht und den Blick nach oben, in Richtung Treppen, in Richtung Aufzug richtet, sieht man Folgendes:
Die Treppen von unten, klare weiße Stufen mit einem braunen Rand, der auch die Oberseite der Treppenstufen bedeckt, alle Stufen gleich groß. Es ist, als höre man die tausend Schritte, die darübergingen. Das Geländer: Weiß, parallel, glatt.
Man sieht viel Fenster, viel Himmel; in diesem Moment ist er grau-weiß, was der Gesamtsituation eine besondere Eleganz verleiht.
Es gibt Decken, Böden, lange Säulen, große Flächen, Lampen, noch unerleuchtet, alles in weiß versteht sich. Es ist, als höre man den Hall der vielen Stimmen, die sich unterhielten und lachten.
Weite.
Nichts scheint ein Ende zu haben. Man kann Kunst sehen, aber die Kunst weiß nicht, dass sie da ist.

Marie Groenewald


Ich stelle vor:

Ich stelle euch den Blick in eine ganz andere Welt vor:
Stellt euch vor, das, was ihr seht, gleicht in keinster Weise dem, wo ihr seid. Ihr seid an einem ruhigen, warmen und sicher auch gemütlichen Platz. Doch wenn ihr durch das Fenster vor euch schaut, dann seht ihr all die Grün- und Brauntöne und könnt die Kälte förmlich spüren.
Ich habe zunächst nur ein Gemisch aus den ganzen Farben gesehen, doch als ich genauer hingeschaut habe, sah ich all die Kleinigkeiten, die vor meinen Augen wachsen und leben. Ich sah die lebendige Natur und fühlte mich, als wäre ich ein Teil davon. Jede kleine Windböe, die durch die Blätter ging, konnte ich sehen. Und als versucht habe, den Raum, in dem ich saß, auszublenden, sah ich noch mehr Lebendigkeit. Tiere wanden sich in ihrem Lebensraum, und über mir ein Bauwerk von Menschen.
Das, worauf ich in meiner Vorstellung stehe und was mich umgibt, ist weich und geschmeidig. Doch in Wirklichkeit sitze ich auf hartem Holz, eingemauert mit festem Stein.
Allein der Blick auf die Vielfalt der Natur lässt mich das Leben spüren und fühlen. Denn in Wirklichkeit ist eine Fläche nicht glatt, ein Licht nicht grell und verschiedenfarbig, Nahrung nicht bereitgestellt und die Temperatur nicht passend angenehm.

Jana Laudien


Ich stelle vor:

Ich stelle vor: Eine Skulptur. Eine düstere Gestalt.
Es hat geregnet, Wassertropfen perlen auf ihr.
Wie unförmig sie ist!
So absurd, wie sie da am Abgrund Einrad fährt. Immer und immer wird sie da Einrad fahren. Und die Gestalt sieht nicht so aus, als wolle sie irgendwann weiterfahren. Und die Gestalt sieht nicht so aus, als wolle sie irgendwann noch einmal absteigen:
Mit geraden, statischen Beinen steht sie da. Entschlossen, auf ihrem Einrad.
Und der Regen perlt an ihr herunter. Die Tränen des Regens rollen ihre mit einer Rüstung gepanzerte Brust herunter, doch es lässt sie kalt.
Kalt steht sie da, ohne Regung, fest.
Entschlossen, ein zur Fratze verzerrtes Gesicht.
Grimmig.
Nein, die Gestalt wird nicht in den Abgrund fallen. Nie. Dafür ist sie zu entschlossen.

Und die Gestalt.
Was sind denn das für Streben, die ihr wachsen: Aus dem Rücken, aus dem Bauch, aus den Beinen aus dem Kopf? Was blättert da so dünn an ihr herab? Was ist das für ein Kasten, was ist das für ein Gebilde auf ihrem Kopf?
Da! -Es hebt sich doch deutlich ab vom Regenhimmel!
Regenhimmel, grauer Himmel, weißer, heller Himmel, Sommerhimmel, Winter-Frühlingshimmel, Nacht- und Sternenhimmel.
Hagel, geschlagen, Wasser geweint, Schnee, gestreichelt. Die Gestalt hat viel erlebt, das sieht man. Die Gestalt, sie hat viel erfahren, und jetzt ist sie kalt.
Und immer noch perlt der Regen.
Träne um Träne an ihr herab.
Ewig.
Ewiges Bild.
In meinem Kopf.
Ewig?

Till Finkenrath


Ich stelle vor:

Langsam öffne ich die quietschende Tür. Von überall reflektieren die Spiegel mein Gesicht. Ich genieße die ruhige Atmosphäre in der Kabine mit einem Ausblick auf ein braunes geöffnetes Tor. Hinter diesem verbirgt sich ein kleiner See, bedeckt von grünen Bäumen. Von oben schaut ein alter Mann auf mich nieder. Schnell zücke ich das Klopapier und bewege mich aus der Kabine. Ich gehe auf das Waschbecken zu, drehe langsam und mit größter Vorsichtigkeit den Wasserhahn auf. Kaltes Wasser spritzt mir ins Gesicht, ich trete einen Schritt zurück. Plötzlich fallen mir all die verzweigten Äste auf, die sich durch die ganze Toilette ziehen. Mich im Kreis drehend und beeindruckt von all den Malereien, fallen mir Mann und Frau Arm in Arm liegend auf, die nackt und liebevoll küssend, sich in dieser leicht beängstigenden, aber doch ehrfürchtigen Toilette beschauen lassen. Noch einen letzten Blick in den riesigen Spiegel mit goldenen Verzierungen, und schon verlasse ich den düsteren aber doch warmen Raum, begleitet von einem quietschenden Hall. Die Inspiration hat mich ergriffen.

Hosna Hakim


Ich stelle vor:

Ich bin im Arp Museum im Bahnhof Rolandseck, in einem blaugestrichenen Ausstellungsraum. Sitzend betrachte ich ein Gemälde von Alfred Sisley.
Es stellt eine Wiese und Bäume dar. Wenn man sich einige Meter von dem Bild entfernt, denkt man: Der Künstler hat alles genau festgehalten: Die Weite der Wiese, dass die Wiese nach hinten vielleicht noch weitergeht, das Spiel zwischen Licht und Schatten.
Im Vordergrund sieht man Butterblumen, und wenn man will, kann man hinter den Bäumen Häuser erkennen. Tritt man näher an das Gemälde heran, erkennt man, dass der Künstler im Vordergrund mit vielen verschiedenen Grüntönen gearbeitet hat, im Gegensatz zum Hintergrund.
Ich stelle mir vor, wie das Bild weitergehen könnte: Kleine Lichtungen in einem sonnendurchfluteten Sommerwald, angrenzend an eine kleine Ortschaft, in der Kinder auf den Straßen Ball spielen…

Milena Behnke


Ich stelle vor:

Ich erlaube mir Louis-Antoine de Bourbon, duc d´ Angouieme vorzustellen - nicht nur sein Name ist ´superfranzösisch`. Seine gesamte kleine Gestalt spiegelt das vornehme Frankreich wieder. Seine goldenen Löckchen versteckt unter der grauen Perücke der Aristokratie, schaut er mich kalt und herablassend an - wobei das kindliche Glitzern nicht ganz aus seinen Augen verdrängt werden konnte. Ein blasses Gesicht, das noch nie unter der Sonne mit Freunden Abenteuer erlebt hat und mit einem aufgeschlagenen Knie nach Hause zu mámá gekommen ist. Rote Wängchen, ja - aber wohl eher Schamesröte oder Schminke als Freude oder Aufregung. Die Orden für seine nicht bestandenen Abenteuer trägt er schon an seiner schmalen Brust. Seinen Babyspeck hat er unter einem samtenen, babyblauen Gehrock in XXS versteckt, aber macht es das besser? Ein Schälchen um seinen Hals, das ihm die Luft zum Atmen abschnürt, wie das Hofzerimoniell, und eine blaue Schärpe, die sich um sein Brüstchen windet, wie die Verpflichtungen, die ihn festhalten, ergänzen das Bild.
Ein lächerliches Persönchen, welches eine ganze Gesellschaftsform repräsentiert.
Ein Kind aus der surrealen Welt von Marie Antoinette mit all ihren süßen Leckereien, den Pastellfarben, der geschwollenen Musik, den samtenen und seidenen Stoffen...ein Kind und ein Junge.
Wir alle wissen, wie die Traumwelt von Marie Antoinette zum Albtraum wurde. Gerechte Strafe für ihren egoistischen Lebensstil?
Was wird aus Louis-Antoine? Wird er seinen Eltern Ehre machen? Wird auch er sich fragen, warum seine Untertanen nicht Kuchen essen, wenn sie kein Brot haben? Schon jetzt lasten auf seinen Schultern große Erwartungen.
Verhätschelt von Zofen, die ihm jeden Wunsch von den Augen ablesen, lebt sicherlich auch er in einer Traumwelt - abgeschnitten von der Realität außerhalb seiner Gemächer, außerhalb der Residenz, außerhalb des Parks - aber was ist mit den Wünschen tief in seinem Inneren, den Wünschen eines jeden Kindes? Der Wunsch nach Zuneigung von seinen Eltern oder einfach der Wunsch frei und unabhängig über seine Zukunft bestimmen zu dürfen...diese Wünsche werden dem kleinen duc wohl nie erfüllt werden.
Was dächte wohl ein kleiner Bauernjunge, wenn er Louis-Antoine kennenlernen könnte? Kann er verstehen, dass er vielleicht eine glücklichere Kindheit verbringt als sein adliger Altersgenosse, der ein Spielzimmer hat, welches größer ist als das ganze Grundstück seines Vaters? Nein, kann er nicht.
Louis-Antoine de Bourbon, duc d´Angouième stelle ich vor, weil er gleichzeitig den Anfang und das Ende der Monarchie darstellt. Eine Gesellschaftsform, die Persönchen wie Louis-Antoine hervorbringt, kann nicht bestehen.
Frankreich wird sich wehren und einen neuen Weg finden.

Eine Zeitreisende


Ich stelle vor:

Es ist kalt, der Wind pfeift um mich herum. Die Wolken drohen mit Regen, und die Luft umhüllt kalt und feucht Nasenspitzen – und mich. Ich hänge hier doof herum, langweile mich – und das schon seit, ähm… mehreren Jahren. Ich sehe noch fast genauso aus wie am Tag meiner Geburt in der Fabrik. Nur die Verankerung, die mich an der Decke festhält, die haben sie erneuert. Schade eigentlich, denn jetzt kann ich nicht mehr herunterfallen. Das wäre in meinem eintönigen Bahnhofsleben doch eine nette Abwechslung.
Aber so hänge ich hier halt ab, rund, mit grauschwarzem Eisen umfasst. Das Glas über meinem Zifferblatt ist dreckig, das Zifferblatt selbst angefressen und vergilbt. Zwölf schwarze Striche haben die Stellen der Ziffern eingenommen und sind nun wie Sonnenstrahlen um meine Mitte angeordnet. Ein langer, schwarzer, spitzer Zeiger kitzelt alle fünf Minuten einen von ihnen. Sein kleiner Bruder versucht vergebens an einen der Striche heranzureichen. Na gut, ich gebe es ja zu, die Laufbahn als Model kann ich vergessen. Aber ich hab wenigstens eine gute Aussicht, und irgendwie bin ich ja schon wichtig – in gewisser Weise.
Und dann wäre da ja auch noch das rhythmische, langweilige Rattern in mir. Einerseits nervt es mich, andererseits ist es die einzige Schranke zwischen mir und dem Schrottplatz, der einzige Grund, dass mich die Leute überhaupt beachten. Auch wenn mir meistens nur ein flüchtiger Blick zugeworfen wird.
Falls Du es immer noch nicht gerafft hast: ICH BIN DIE BAHNHOFSUHR VOM BAHNHOF ROLANDSECK.
An mir sind schon unzählige Züge vorbeigefahren. Ich habe schon unzählige Gesichter mit Rang und Namen gesehen. Wenn ich sie Dir alle aufzählen würde, würdest Du mit Sicherheit „Geil, geil… aber, warum hast Du mir denn dann kein Autogramm geholt?!“, rufen. Und ich würde antworten: „Weil ich hier ganz zufällig unter die Decke gefesselt wurde, deshalb!“
Angesichts meiner unzähligen, vergangenen Geburtstage, die sowieso niemand gefeiert hat, habe ich aufgehört, über mein unermessliches Alter (und natürlich über meine unermessliche Weisheit) zu grübeln. Ich schätze mich auf so… mmh… 150 Jahre. Ja, ich weiß, ich bin Uhralt und völlig aus der Mode, aber das musst ausgerechnet Du mir jetzt nicht auch noch unter die Nase, ähh… den Zeiger reiben!
Tatsache ist, dass Du bestimmt nicht so alt wirst. Unfair, weil ich nicht sterben kann? Unsinn, es hat halt noch keiner versucht mich zu ermorden. Du kannst es ja mal aus ausprobieren…
Aber geh mir jetzt bitte nicht mehr auf den Zeiger!

Henriette Fischer


Ich stelle vor:

Schrecklich! Von überall kommen Geräusche: Von rechts das Pattern eines großen Baggers, von links manchmal das laute Hämmern eines Presslufthammers und der Lärm eines genauso lauten Baggers. Von hinten höre ich den Verkehrslärm auf der B9, der gerade in den frühen und späten Stunden zu einer meiner Qualen führt. Von vorne höre ich nur manchmal ein paar Züge vorbeirauschen.

Aber einen Blick habe ich dagegen: Weiter hinten auf dem Berg ist der Rolandsbogen. Hinter mir und der B9 kann ich den Rhein und auch die Stadt am anderen Ufer erkennen. Und vor mir habe ich den alten Bahnhof Rolandseck. Denn ich bin die Gockel-ähnliche Statue auf dem Vorplatz vor dem Arp Museum. Ich kann alle Leute sehen, die das Arp Museum besuchen. Aber auch der Blick nach oben hat etwas Besonderes: Gerade an einem stürmischen Tag wie heute fliegen die Wolken nur so über mir vorbei. Ich habe die perfekte Sicht auf das Eisengeländer oben über mir. Auch habe ich einen Blick auf zwei weitere Statuen des Arp Museums. Leider werde ich von den Besuchern des Museums nicht sonderlich wahrgenommen.

Es ist gerade ein wenig Hochwasser auf dem Rhein, der Nebel verfängt sich an dem Berg mir gegenüber, so dass ich nicht den Gipfel sehen kann. Um mich herum sind ein paar Lichter, die aber nicht wirklich viel bewirken. Von der Etage mit dem Bistro aus kann man mich mal aus einer anderen Perspektive sehen. Von oben kann man mich am besten mit einem Hahn vergleichen. Man könnte allerdings auch meinen, ich sei eine andere Art von Reh, Hirsch oder Rentier. Desto dunkler es wird, desto besser und eindrucksvoller sehe ich aus. Das bewirken dann die kleinen Lichter neben mir!

Doch der Lärm will nicht aufhören. Fast im Minutentakt kommt ein neuer Schwall lärmender Autos. Aber das Beste an meinem Platz ist: Ich habe ihn ganz für mich alleine. Sobald die Bauarbeiten abgeschlossen sind, wird der Platz um mich herum noch schöner werden. Ich könnte mir kaum einen besseren Standort ausdenken, denn hier kommen alle Leute vorbei, die das Museum besuchen wollen, mich aber leider kaum beachten. Ab und zu schippern ein paar Frachter auf dem Rhein auf und ab. Obwohl ich relativ flach bin, wirke ich trotzdem plastisch. Ich bin nämlich eine Schwellenplastik. Durch mich kann man einfach durchschauen: Bei mir kann man durch mein Auge sehen. Ich bin ein wenig grünlich geworden über die Jahre, denn ich bin nicht gegen die Umwelt geschützt, ich bin ja draußen. Und so stand ich und stehe ich immer noch vor dem Arp Museum und beobachte täglich die Besucher, die ein- und ausströmen.

Johanna Rüllich


Ich stelle vor:

Ich stelle den Ausblick vom Bistro über den Rhein vor. An der anderen Rheinseite sehe ich eine lange Allee von Bäumen, dahinter ragt das große Siebengebirge empor. Die Spitzen der Berge versuchen sich hinter dem Nebel und den Wolken zu verstecken, die um diese Jahreszeit tiefer hängen als sonst. Es scheint, als versuchten sie, das Land zu erdrücken. Doch den Rhein stört das nicht. Wie immer hat er eine starke Strömung, und es fährt auch nur hier und dort ein Schiffchen. Es wäre sehr ruhig, wenn nicht die Landstraße direkt am Rhein ihren Platz gefunden hätte. Ständig fährt ein Auto nach dem anderen. Ganz im Gegensatz zur anderen Seite, wo es ruhig und leer aussieht.
Am Fuße der Berge erkennt man einzelne Häuser, und auch ein Kirchturm ragt aus dem Dörfchen empor.

Urte Alexandra Schröder


Ich stelle vor:

Kalt, fast ein wenig rau, ragt der letzte verbliebene Teil der alten Burg in den Himmel empor. Die schweren Wolken wollen ihn, sich am Berg entlang hangelnd, nieder drücken, doch er trotzt Wind und Wetter und steht alleine auf seinem Berg, seinem eigenen Reich. Um ihn versammeln sich Bäume und eisige Kälte, die das restliche Leben fern zu halten scheint.
Das graue Gemäuer, schon seit Generationen aufrecht stehend, war seit eh und je eine Quelle der Inspiration und strahlt auch jetzt etwas aus, was keiner in Worte zu fassen vermag.
Abgesehen von dem erbarmungslosen und eisigen Wind, der durch alle Fugen rauscht, die Haare zerzaust oder einen schaudern lässt, ist es still.
Nur ab und an ertönt das Rattern eines Zuges oder das Dröhnen der Maschinen, das ihm vorauseilt.
Danach ist alles wieder vollkommen still.
Die Welt steht wieder alleine da, genau, wie der Rolandsbogen.

Karolin Lauck


Ich stelle vor:

Portrait Lord von Holland mit kleinem Hund
1795 (Louis Gauffier)

Darf ich vorstellen Lord Holland…oder Lord von Holland…oder Lord der Holländer…? Was macht das schon?!
Hier sitze ich nun. Aus fließender Seide ist mein Hemd, aus weichem Samt mein Jackett; aus reim Gold meine Schnallen und aus selbstgeschossenem Eber meine Schuhe. Unter meinen Füßen der feste italienische Marmor. Hinter meinem Rücken wölbt sich der schwere rote Vorhang. Neben mir meine steinernen Ahnen.
Hier sitze ich nun. Ich habe meine Perücke abgenommen. Dieses Rangsymbol ist lediglich lästig. Es juckt und kratzt und man könnte meinen ich sei ein alter Greis. Das bin ich aber nicht. Mein junger Lebensgeist stößt an meine Fassade. Die Leidenschaft in mir stirbt jeden Tag aufs Neue.
Hier sitze ich nun. Ermüdet von den sittlichen Tugenden und Taten. Lesen, lernen, malen, komponieren, etwas vorgeben zu sein, was ich nicht bin. Ein Lord bin ich. Ich soll über andere Menschen herrschen. Verantwortung tragen, für das Leben anderer, dabei ist mein eigenes doch so absurd. Wie ich in einem vor Reichtum nur so strotzenden Moment etwas Derartiges behaupten kann? Eine berechtigte Frage. Ich will versuchen sie zu beantworten. Ich bin scheinbar der Einzige von uns, dem Adel, der so denkt.
Mein Bruder, ein Jahr jünger als ich, hat mehr als acht Frauenzimmer zu regeln. Mein Cousin, ein Jahr älter, lebt in noch größerem Reichtum als ich. Sein Volk?! Ein kleiner Haufen Elend. Ausgemergelt und über ihre Grenzen weit hinaus getrieben Mein Vater. Ein Gottesverräter. Makaber…Ist es nicht das heuchlerische Gottesgnadentum das, was ihn zu eben dem macht, was er ist? Nämlich Lord von Albanien. Er vermachte mit Holland. Einfach so. Ohne irgendjemanden, geschweige denn einen Holländer nach seiner Meinung zu fragen.
Meine Gattin? Ein elendes Weib. Auch sie setzte mein Vater mir vor, wie einen großen, glänzenden, roten Hummer auf einem Silbertablett. Er glaubte wohl, er habe mir ein besonders großes Geschenk gemacht. Keine Frage, meine Gemahlin Bernadette IV. von Norwegen ist wunderschön. Doch war mir vom ersten Augenblick, da ich sie sah, bewusst, dass keines ihrer Gefühle mit gegenüber rein war. Sie spielt ein Drama. Alles, was sie kann ist einen verführerischer Augenaufschlag, einen teuren Lebensstil pflegen und vorgeben wunschlos glücklich zu sein.
Soll das wirklich alles sein? Soll ich mir den Reichtum zu Kopfe steigen lasse, mein Frau betrügen, mein Volk aussaugen und gegen Gott reden? Es wäre so einfach. Doch so bin ich nicht. Ich bin menschlich.
Hier sitze ich nun. Fertig mit der Welt uns fertig mit mir. Die Missstände dieser Gesellschaft so klar und deutlich vor Augen, dass es schmerzt. Mein Traum unantastbar und allein. Kein Schritt weiter bin ich. Nur einen Schritt näher an meiner Verzweiflung, die mich heiß und drückend jeden Tag bedroht. Und eines Tages wird sie mich überwältigen.

Helen-Sophie Mayr